artifex 02/2025: Spanien
Vorlesen:
Viva el Amor_Die Liebenden von Aragón
VIVA el AMOR! Ein Liebesspektakel der besonderen Art in den Bergen von Aragón
Der falsche Bräutigam: Don Pedro. Isabel liebt ihn nicht. (Foto: © Tobias Buescher)
TEXT
RÜDIGER GOTTSCHALK
Isabel schreitet gemächlich zum Höhepunkt des Spektakels. Der Leichnam von ihrem Liebsten ist unweit des Rathauses von Teruel aufgebahrt. Isabel beugt sich weinend über den mutigen Ritter und alle sehnen den Kuss herbei, der ihr doch verboten ist.
Teruel erlebt ein mittelalterliches Liebendrama, Jahr für Jahr. Tausende kommen in die kleine Stadt in Aragon, verkleidet als Ritter, Kaufleute, Händler. Kostüme aus der Fundación de Isabel erhalten die Protagonisten, um ein lebhaftes Drama aus dem 13. Jahrhundert aufzuführen. Die Geschichte der Liebenden von Teruel kennen wir in gewissen Ähnlichkeiten auch aus anderen Ländern. Romeo und Julia aus Shakespeares Feder oder die Geschichte von Jan und Griet aus dem mittelalterlichen Köln, damals eine der mächtigsten Städte Europas.
Die Geschichten gleichen sich nicht ganz, aber immer geht es um verhinderte Liebe. Sie durfte oder wollte nicht, er zog aus, um als reicher und akzeptierter Ehemann zurückzukommen. In Teruel kam Diego nach fünf Jahren nur ein wenig zu spät. Die Falschmeldung, er sei auf dem Schlachtfeld gestorben, hatte die Runde gemacht und Isabels Vater hatte nichts Eiligeres zu tun, als seine Tochter wohlversorgt für die Familie unter die Haube zu bringen.
Das Spektakel geht über drei Tage. Herzzerreißende Szenen spielen sich in Teruel ab, genau im Haus der Caja Rural de Teruel, einem Art-déco Haus am Platz des Stierbrunnens, dem Wahrzeichen von Teruel. Diego klettert die Fassade hoch, um seine Liebste zu sehen und den begehrten Kuss zu erlangen, der ihm beim Auszug in den Krieg versprochen war. Isabel will und darf ihn nicht küssen, schließlich ist sie vermählt, im katholischen Spanien wäre der Kuss die Sünde schlechthin gewesen. Diego stirbt vor Hunderten Zuschauern vor Herzschmerz. Der nächste Akt geht am folgenden Tag weiter, als Isabel zum aufgebahrten Diego schreitet, um schließlich den Toten zu küssen und dabei zu versterben. Las Bodas wird das Spektakel auch bezeichnet, die Hochzeit der Lebenden und die Hochzeit der Liebenden, die erst im Tod vereint sind.
MUMIENFUND in DEN 50er JAHren
Das Besondere dieser Geschichte ist der wohl wahre Hintergrund der verzweifelten Liebe. Vor einigen Hundert Jahren fanden Kleriker in der Kirche San Pedro die Mumien von einem Mann und einer Frau. Im Jahr 1955 ließ die Stadt den Liebenden ein Alabaster-Grab fertigen. DieHände der beiden Skulpturen berühren sich fast. Die Schauspieler, die Isabel und Diego verkörpern, werden aus über 100 Bewerbern ausgewählt, genau geschult, damit sie die Liebenden würdevoll darstellen. Im Jahr 2025 geht das Gerücht, dass die Darsteller bei der Kussszene der Isabel über dem toten Diego sich einen noch nie vollzogen echten Kuss gegeben hätten. Meinem Kollegen Tobias Büscher verrät Schauspielerin Andrea Gálvez, dass Diego ein schöner Mann sei und dass der von ihr verschmähte Ehemann auch etwas hässlicher hätte sein können.
Nächstes Jahr feiert das Spektakel von Teruel 30 Jahre Aufführungen. Wieder werden Fans aus Zaragoza, Valencia und Madrid herbeieilen, um die ein oder andere Träne zu verdrücken. Die Eltern werden sich mittelalterlich verkleiden, die kleinen Besucher werden Plastikhelme oder Umhänge mit Kreuzfahrerkreuz erbetteln und natürlich die obligatorischen Holzschwerter. Das eigens gebraute Bier wird fließen in der kleinsten Provinzhauptstadt Spaniens. Die Liebenden werden sich wieder nur fast küssen. Viva el amor!
Finale
Das Fest startet jährlich im Oktober mit dem Auszug von Diego, die Vorbereitungen beginnen schon im Sommer. Raquel Esteban ist seinerzeit der kreative Kopf und Erfinderin dieser jährlichen Aufführungen gewesen. Im Februar eines jeden Jahres ist es dann so weit: das große Herzschmerzfinale. Wer in der 36.000-Einwohner-Stadt übernachten möchte, sollte früh buchen. Der Palacio de Marquesa ist ein aufwendig und schön restauriertes Hotel im Zentrum: hotelpalaciolamarquesa.com/es
Islamische Kunst und Architektur
Die Mudéjar-Architektur von Teruel ist ein herausragendes Beispiel für den Einfluss der islamischen Kunst und Architektur in Spanien, besonders während der Zeit der Reconquista. Diese Architekturform kombiniert maurische Stilelemente mit christlichen Baupraktiken und ist bekannt für ihre beeindruckenden Ziegeltürme, kunstvollen Kacheln und filigranen Holzarbeiten. Ein markantes Merkmal der Mudéjar-Architektur in Teruel sind die prächtigen Kirchtürme, die häufig mit Ziegeln in geometrischen Mustern verziert sind. Die bekanntesten Bauwerke sind die Kathedrale von Teruel und die Kirchen San Pedro und Santa María, die alle zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Diese Gebäude zeichnen sich durch ihre reich verzierten Fassaden, kunstvollen Bögen und die Verwendung von Ziegeln in Kombination mit anderen Materialien aus.
Insgesamt spiegelt die Mudéjar-Architektur von Teruel die kulturelle Vielfalt und den Austausch zwischen den christlichen und islamischen Traditionen im mittelalterlichen Spanien wider.
artifex 02/2025: Spanien - Seite 20