artifex 02/2024: Reisen
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artifex 02/2024
LOUISIANA: MUSIK DRINGT AUS JEDER ECKE
(Foto: © Michael Soltys)
TEXT: MICHAEL SOLTYS
New Orleans versteht sich als Geburtsort des Jazz und damit auch als Ursprung vieler musikalischer Richtungen, die es aus den USA heraus zu Weltruhm gebracht haben. Musik dringt in der Stadt aus jeder Straßenecke, aus jeder Ritze des Vergnügungsviertels French Quarter, aus den Souvenirläden, aus den Ausflugsbooten auf dem Mississippi, aus den Hoteleingängen, aus den Lebensmittelgeschäften, selbst mitten in der Nacht aus den Lautsprechern vor geschlossenen Läden. Schon morgens stehen Saxofonspieler auf den Straßen und improvisieren über Jazz-Standards.
Aus der „Fritzell’s Bar“, benannt nach den Einwanderern aus Deutschland dringen Dixieland-Klänge. Spontan treffen sich junge Musiker im Freien und singen und spielen bekannte Songs. Über allen scheint die Statue von Louis Armstrong zu wachen. Mit Trompete und Taschentuch in der Hand hat man dem berühmten Sohn der Stadt im Park, der nach nach ihm benannt ist, ein Denkmal errichtet.
Die Tradition der amerikanischen Musik zu bewahren, haben sich viele Menschen auf die Fahnen geschrieben. Zu ihnen zählen sich die Macher der „Preservation Hall“ im Zentrum des French Quarter, der „Bewahrungshalle“. Der Name ist Programm. Kaum zu glauben, dass sich hinter der schmuddeligen Fassade an der St. Peter Street eine landesweit bekannte Musikstätte versteckt. Und eine ungewöhnliche zumal, eine Art Bretterbühne im schummrigem Licht, davor fünf Reihen Holzbänke, es ähnelt einer Scheune.
Hier wird der traditionelle Jazz gespielt, Standards aus den Anfängen und „second line“, die Art Musik, die nach einem Begräbnis in New Orleans auf dem Weg zurück vom Grab üblich ist, erläutert Mike Martinovitch, der Manager der Preservation Hall. Viermal am Tag läuft die Show, 360 Tage im Jahr. „Wir sind immer ausverkauft.“ Die Scheune sei nicht restauriert, „weil wir eine Art Zeitkapsel“ sein wollen, ein „Monument des traditionellen Jazz“. Die Halle sei auch eine Erinnerung an die Gründer Allen und Sandra Jaffe, die aus der damaligen Galerie eine Veranstaltungsstätte formten für Schwarze und Weiße. Allen sei oft auf die Bühne gegangen, um mit schwarzen Musikern zu spielen, was damals nicht erlaubt war. Der Preis dafür: eine Nacht im Gefängnis.
Längst hat sich vor der Halle eine lange Schlange gebildet, jedem Einzelnen wird sein Platz zugewiesen. Es geht schwungvoll los mit einer Dixieland-Nummer, und schon bald erweist sich Posaunist Ronell Johnson als der Spaßmacher der Truppe. Bis auf ein paar Zentimeter nähert er sich mit dem Zug seiner Posaune den Gesichtern der Zuschauer. Nach einem tiefen, fetten Ton auf seinem Instrument ruft er zwischendurch: „Das hat euch gefallen, was?“ Schon das vierte Stück „My bucket’s got a hole in it“, frei übersetzt „Mein Geldbeutel hat ein Loch“, ist ungeschminkt auf Trinkgelder ausgerichtet. Und die Zuschauer, wie in den USA üblich, lassen sich nicht lumpen. Tanzend nähern sich Frauen aus den hinteren Reihen, um Geldscheine in den Blecheimer vor der Band zu werfen. Kaum jemand, der nicht ein paar Dollar übrig hat.
Nach knapp 50 Minuten ist die Show vorbei, die Zuschauer sind zufrieden, dabei gewesen zu sein. Vor dem Haus mit seinen Fensterläden aus Holz wartet bereits die nächste Schlange. Alle 75 Minuten beginnt eine neue Show, viermal am Tag, immer mit demselben Ablauf. Der Musikbetrieb in New Orleans kennt eben nur wenige Pausen.
Aus diesem Musikbetrieb sticht die Maple Leaf Bar hervor, weit außerhalb von Innenstadt und French Quarter in der Oak Street. Einige Gäste stehen vor der Tür, das Bier in der Hand. Es riecht nach Marihuana, wie fast überall vor den Bars in New Orleans. Das erste Set ist zu Ende, Zuschauer kommen aus dem schmalen Gang, nehmen sich den Gehörschutz aus den Ohren. Schon von Weitem war zu hören: Diese Musik ist sehr, sehr laut. Seit 1974 wird in der Bar Musik gemacht, beileibe nicht nur Funk, wie ein Gast beim Bier an der Theke erzählt. „Mal kommt eine Jazz-Sängerin, mal spielt jemand am Piano.“ Wenig später stößt Hank Staples hinzu, der Besitzer der Maple Leaf Bar. Er hält die Fahne der Musiktradition in New Orleans auf seine eigene Art hoch. „Wir machen hier Live-Musik von lokalen Bands“, sagt er. Er selbst ist erst 1985 zum ersten Mal in die Bar gekommen, wo er für einige Jahre hinter der Theke gearbeitet hat, bevor er den Laden übernehmen konnte. „Damals war es noch eine richtige Räuberhöhle“, erinnert er sich. „Wir spielen hier die klassische Musik von New Orleans und Louisiana.“ Aktuell eher Blues und Funk. Früher war die Bar bekannt für Cajun, die Musik und der Tanz der französischen Siedler. Doch dafür fehle heute das Publikum. Ähnlich ist es mit Zydeko, einer Mischform aus Cajun und Rhythm ´n´ Blues, erläutert Hank. „Das ist nicht mehr so populär“.
Bis zu 140 Zuhörer dürfen in die Bar. Die Covid-Pandemie habe für Einbrüche gesorgt. Doch an diesem Montag ist der Saal gut gefüllt. Das liegt an Bassist Georg Porter jr., ist Hank überzeugt. Der Grammy-Preisträger „ist eine wahre Legende, den man bei uns hören kann“. Dann wird das Gespräch schwierig, denn drinnen setzt der Funk ein, das zweite Set beginnt. Und es ist besser, sich die Plastikstöpsel ins Ohr zu stecken, die der Türsteher am Eingang verteilt hat. Georg Porter jr. und seine Mitstreiter an der Gitarre, am Piano und am Schlagzeug haben ihr Handwerk nicht verlernt. Schon bald fangen die Menschen an zu tanzen.
In einem abgelegenen Winkel Louisianas, weit außerhalb von Baton Rouge, der Hauptstadt Louisianas, hält Teddy die Tradition des Blues hoch. Eigentlich heißt der 77-Jährige Lloyd Johnson jr., aber das habe er selbst erst im Alter von sechs Jahren erfahren, weil ihn da schon alle Welt Teddy nannte, wie er erzählt. Seine Bar, „Teddy’s Juke Joint“ ist ein verwunschener Ort, er wirkt auf den Besucher wie eine zusammengenagelte Bretterbude. Fast fährt man an dem Schuppen vorbei. An der einsamen Landstraße liegen nur verstreut wenige Häuser, mit Mühe sind die beleuchteten Schilder zwischen Baumreihen zu entdecken, die auf Teddy‘ Bar hinweisen. Durch eine klapprige Tür, die mit Glitterpapier verziert ist, geht es in einen Raum, der den Besucher mit Tand erschlägt. Glitzernde CD’s, Masken von Mardi-Gras-Umzügen, Perlenketten aus Plastik, leere Bierdosen, vergammelte Blecheimer, alte Gitarren: Das alles baumelt von der Decke herab. Schallplatten-Hüllen und Fotos von Musikern zieren die Wände. Ausrangierte Verstärker und Lautsprecher füllen die Ecken der kleinen Bühne – und mittendrin Teddy mit seinem Hut und der bunten Weste.
Seit 44 Jahren wird hier mehrmals die Woche Blues gespielt. Viele Blues-Musiker, die in den USA einen Namen haben, aber in Europa kaum bekannt sind, sind hier aufgetreten, sie haben Fotos signiert, die Teddy gerahmt und an die Wand gehängt hat. „Meine Bar ist in 130 Ländern bekannt. Die Leute kommen von überall her, aus Kalifornien, aus Texas, aus Mississippi“, sagt er und zeigt zum Beweis eine Zeitungsseite der New York Times, deren Reporter einst über ihn berichtet haben. Auf Titelfotos von Magazinen ist sein markantes Gesicht abgebildet. Stolz präsentiert er Auszeichnungen, die er in jüngster Zeit für sein Engagement für die Blues-Musik erhalten hat. Teddy selbst ist in dem Blues-Schuppen geboren, erzählt er. „Ich habe diesen Platz nie verlassen“, einen Platz, den er dem Blues gewidmet hat.
An diesem Abend jedoch herrscht Flaute, nicht einmal eine Handvoll Gäste sitzt an der Theke. Unverzagt singt Dixie Rose im Hintergrund ihre Lieder zur Gitarre, wie seit 18 Jahren jeden Mittwoch, wenn Jam-Session ist. „Die Dinge laufen schlecht“, räumt Teddy ein, schuld sei die Covid-Pandemie. Da über Monate ohne Job, „haben viele Musiker das Musikgeschäft verlassen“. Einige Musik-Bars mussten schließen. „Teddy’s Juke Joint“ gehört noch nicht dazu.
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