artifex 02/2025: Spanien
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El Hierro_Das Ende Europas
Insel mit Seele EL HIERRO: DAS ENDE EUROPAS
Dorf Tamaduste am Ufer der Insel El Hierro (Foto: © iStock.com / trabantos)
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CORNELIA GANITTA
Als sich Christoph Kolumbus 1493 zum zweiten Mal anschickte, die Neue Welt zu entdecken, machte er auf El Hierro Halt. Hier »tankte« er auf. Nicht ohne Grund, denn die Insel ist die westlichste des Kanarischen Archipels. Dahinter kommt der Atlantik und dann lange nichts. Das Ende Europas sozusagen. Nicht so für Alfredo Hernandez Gutierrez, den Chef der örtlichen Winzergenossenschaft. Für ihn ist El Hierro das Gegenteil: der Anfang des europäischen Kontinents. Weit weg aus deutscher Sicht ist es allemal. Man muss eine Tagesreise auf sich nehmen, die in den meisten Fällen über Teneriffa führt. Von dort fliegt man weiter mit einer inländischen Fluggesellschaft oder setzt mit der Fähre über auf die 270 Quadratkilometer große Insel mit gerade mal 10.000 Einwohnern, südwestlich von Gomera und La Palma.
Einmal da auf dieser erdgeschichtlich jüngsten der Kanarischen Inseln, hat der Aufwand gelohnt. Gegensätze bestimmen das landschaftliche Bild: Schroffes Lavagestein im Südwesten wechselt sich ab mit dichten Kiefer- und Lorbeerwäldern in der Inselmitte und dem fruchtbaren Golfo-Tal im Norden, wo Ananas und Bananen wachsen und ein guter Wein. »Die Reblaus gab es hier nie«, erzählt Alfredo. »Deshalb wachsen hier viele alte Sorten.« Außerdem habe es früher keine Trennung zwischen roten und weißen Wein gegeben. »Bis vor Kurzem wurden hier noch bis zu 28 Rebsorten zusammengemixt «, so der Experte. Zu der Weinprobe, die wir hier genießen, werden leckere Tapas mit Ziegenkäse, gegrilltem Huhn, Feigen-Mousse und kanarische Kartoffeln serviert, samt der inseltypischen rot-grünen Mojo-Soße. Auch der Papageifisch sowie Peto, ein weißer Thunfisch, zählen hier zu den viel verzehrten Speisen.
VULKANAUSBRUCH MIT FOLGEN
Wirtschaftliche Einnahmequellen des Biosphärenreservats, zu dem El Hierro seit 2000 gehört, sind neben dem Wein der Export von Ananas und Bananen. Auf die anderen Kanarischen Inseln wohlgemerkt. Denn auf dem Kontinent können die ohne Chemie teuer produzierten Bananen von El Hierro mit der Konkurrenz aus Chile nicht mithalten. Dafür wird der Tourismus als Wirtschaftszweig immer wichtiger. Als im Oktober 2011 ein unterseeischer Vulkanausbruch rund zwei Kilometer vor der Küste von La Restinga mehrere Erdbeben auslöste, verließ nicht nur die Hälfte der Herrineros die Insel. Auch die Urlauber blieben in den folgenden Jahren aus. Seit der Ernennung zum UNESCO-Geopark 2014 sind die Zahlen - sieht man von den Einbrüchen durch Corona ab - mit rund 20.000 Inselreisenden pro Jahr (2023 knapp 20.300) stabil. Nach Angaben der Touristiker sollen es noch mehr werden, auch wenn man keine Besuchermassen bewältigen will und kann.
»EINEN GROSSARTIGEN BLICK AUF DAS GOLFO-TAL BIETET DAS PANORAMARESTAURANT MIRADOR DE LA PENA.«
El Hierro eignet sich hervorragend für den »individuellen Gruppentouristen«, den Ruhe suchenden Wander-Liebhaber und Mountainbike- Freak. Wer hier »was los machen« möchte, ist fehl am Platz. Es gibt kaum Hotels, keine Clubs und keine Biermeilen. Auch Sonnenanbeter und Badenixen kommen anderswo mehr auf ihre Kosten: 90 Prozent Steilküste erlauben das Baden nur an wenigen Stellen, wie in Las Playas. Immerhin gibt es ein atemberaubendes, natürliches Meeresschwimmbecken (La Maceta) und laden Tauchschulen an der Ostküste zum Tiefseetauchen ein. Für weitere Abwechslung sorgen Paragliding-Basen und das Freilichtmuseumsdorf Guinea, das auf den Überresten einer der ersten Siedlungen der Insel errichtet wurde. Es zeigt anschaulich, wie beschwerlich das Leben auf der von Lava geformten Insel in früheren Jahrhunderten war. Gleich daneben befindet sich ein besonderes Terrarium: eine Echsen-Aufzuchtfarm, in der die als ausgestorben geltende Rieseneidechse von El Hierro nachgezüchtet wird. Auge in Auge mit dem Reptil wird man hier in prähistorische Zeiten katapultiert.
TOKIENS WELT
Das wird uns auch bei der Wanderung durch die karge Pampa plastisch vor Augen geführt. Über weite Strecken nichts als hügelige Lavamassen, was durchaus seinen Reiz hat, zumal man hier im Inselsüden mit grandiosen Ausblicken belohnt wird. Ganz anders die Landschaft im Norden und Westen der Insel, die von sattgrünen Lorbeer- und Pinienwäldern durchzogen ist und nicht selten an die sagenumwobene Welt von J. R. R. Tolkien erinnert. Lorbeerbäume brauchen die Passatwolken zum Wachsen. Deshalb wachsen sie im Nordosten der Insel, während im Westen und Südwesten eher Kiefern wachsen, die die Trockenheit gut vertragen. Ganz im Gegensatz dazu stehen die bizarr gebogenen Bäume des Wacholderhains El Sabinar, die durch den ständigen Einfluss starker Winde entstanden sind und zu den Wahrzeichen der Insel gehören.
»DAS BADEN IM MEERWASSER IST IM WUNDERSCHÖNEN MEERSCHWIMBECKEN LA MACETA MÖGLICH.«
Spuren von César Manrique (1920-1992), der vor allem auf Lanzarote großen Einfluss auf die architektonische Gestaltung der Insel hatte, finden sich auch auf El Hierro. Mit seinem Aussichtsrestaurant Mirador de la Peña bei Guarazoca hat sich der spanische Künstler ein weiteres Denkmal gesetzt. Das 1989 eröffnete Restaurant wurde inzwischen von der kanarischen Regierung zu einem »Ort von besonderer kultureller Bedeutung« erklärt. Kein Wunder, denn das aus Naturstein organisch gebaute Haus auf dem gleichnamigen Bergplateau passt sich perfekt seiner Umgebung an. Hier oben genießen wir bei strahlendem Wetter ein letztes Mal den Sonnenuntergang mit dem weiten Blick über das Golfo-Tal, das rechts vom Meer mit seinen Bananenplantagen und links von der fast 1000 Meter hohen, unüberwindbaren Steilküste begrenzt wird. Ab und zu, so hört man, ziehen ein paar Wolken auf Augenhöhe vorbei. Ein guter Ort also, um der Seele El Hierros nahe zu sein.
Reiseinformationen
Hauptreisezeit
Grundsätzlich ist die Zeit zwischen Oktober und März klimatisch am besten. Für die blühende Vegetation sind Februar und März zu empfehlen. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei milden 22 bis 24 Grad.
Anreise
Flüge von verschiedenen Flughäfen z.B. mit Iberia, Condor, easyJet über Madrid nach Teneriffa Süd. Von dort weiter mit Binter nach El Hierro. Ab Teneriffa kann man auch mit der Fähre in drei Stunden auf die kleinste der Kanaren übersetzen.
directferries.de
Unterkünfte
Aufgrund der Infrastruktur und der vergleichsweise wenigen Unterkünfte (die Insel hat nur 1000 Gästebetten) empfiehlt sich eine Gruppenreise. Wikinger bietet aktuell vier Aktivreisen an. Internet: www.wikingerreisen. de. Das von Wikinger gebuchte Hotel Balneario Pozo de la Salud in Sabinosa (mit Pool und direkt am Meer gelegen) kann auch individuell gebucht werden.
Essen und Trinken
La Peña am Aussichtspunkt Mirador im Norden der Insel (Guarazoca) bietet einen grandiosen Blick über das Golfo-Tal und ist mindestens einen Cocktail auf der Terrasse wert. In Frontera gibt es das Restaurante Casa Pucho Don Din 2 (Calle Corredera 5). Empfehlenswert hier: der Papageienfisch auf Herreño-Art oder die Lammkeule. Fangfrischen Fisch gibt es auch in mehreren Restaurants im Fischerdorf La Restinga.
Sehenswert
Neben den im Text beschriebenen Ausflugszielen kann der Leuchtturm Faro de Orchilla an der Westspitze der Insel zu Fuß oder mit dem Auto erreicht werden. Bis vor wenigen Jahren verlief hier der Nullmeridian. Die Sonnenuntergänge sollen hier besonders orange sein, die Umgebung besonders ruhig und der Nachthimmel besonders sternenreich.
Empfehlenswert ist auch die Teilnahme an der Prozession »Bajada de la Virgen de Los Reyes«. Dieses wohl bedeutendste Ereignis der Insel zieht Tausende von Gläubigen und Besuchern an und wird alle vier Jahre am ersten Juli-Wochenende gefeiert. Dabei wird die Statue der Schutzheiligen der Insel, der Virgen de Los Reyes, über den 1.500 Meter hohen Bergrücken und wieder hinunter zur Kirche La Concepción in der Hauptstadt
Valverde getragen. Nach einer mehrjährigen, Covid-bedingten Pause findet das Fest in diesem Jahr zum ersten Mal wieder statt. Die Feierlichkeiten beginnen am 5. Juli und enden mit der Subida am 2. August. Die Wallfahrtskapelle Virgen de los Reyes kann das ganze Jahr über besichtigt werden.
elhierro.travel/de
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