artifex 02/2025: Spanien
Vorlesen:
Valencia_das Hinterland
HÖHLEN, ORANGEN UND OLIVEN – Auf Entdeckungstour in der Provinz Valencia
(Foto: © Juan Sanz)
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RÜDIGER GOTTSCHALK
»FLIPFLOPS KÖNNEN DIREKT ZU HAUSE GELASSEN WERDEN.«
Die Covetes des Moros, die maurischen Höhlen, sind eine der Hauptattraktionen von Bocairent, der kleinen Gemeinde in der Provinz Valencia mit ihren etwas über 4.000 Einwohnern. Am Placa de l’ Ajuntament, dem Rathausplatz, biegen wir links und schließlich rechts in die Carrer Ruta de les Covetes. Nach wenigen hundert Metern müssen wir noch Tickets erwerben und los geht’s. »Seid Ihr bereit?«, fragt die Führerin aus dem Tourismusbüro der Gemeinde. Die Tour durch die Höhlen ist nicht ohne. Auf der Internetseite der Gemeinde wird von einem schwierigen Zugang – nicht geeignet für Menschen mit Platzangst oder Schwindel – geschrieben. Schwangere und Babys unter drei Jahren dürfen nicht mit, Menschen mit Knie- oder Hüftprothesen auch nicht. Ganz charmant wird von einer gewissen körperlichen Anstrengung geschrieben, denn der größte Teil der Begehung findet im Kriechen statt. Flipflops können direkt zu Hause gelassen werden. Die Höhlen dürfen nicht mit Taschen, Rucksäcken oder Bauchtasche betreten werden. Die Empfehlungen sind absolut berechtigt. Wer das Erlebnis störungsfrei genießen möchte, sollte die Tipps des Tourismusbüros von Bocairent beherzigen. Eine Führung dauert etwa eine Stunde. Die Begehung der Höhlen ist ein besonderes Erlebnis.
Die Höhlen dienten keineswegs als Wohnplatz oder dem Schutz der Bewohner von Bocairent, wie man dies von anderen Höhlenanlagen etwa aus Matera in Süditalien kennt. Der Schimmel und die Feuchtigkeit der Keller und Lagerstätten von dem Ort Bocairent zwang die Bewohner, alternative Ausweichorte für Getreide und Ähnliches zu suchen. Die Covetes waren die ideale Lösung: trocken und sicher vor Nagetieren.
Bocairent ist eines von vielen spannenden Reisezielen im Hinterland von Alicante, Castellón und Valencia. Für Sportbegeisterte gibt es noch viele weitere Verlockungen, etwa die Region Baix Maestrat, ein Landkreis in der Provinz Castellón, immerhin fast drei Stunden weiter nördlich mit dem Auto.
ciudaddelciclismo.com
HOTSPOT DES RADSPORTS
Das Hinterland zwischen Castellón und Alicante ist beliebt bei Rennradfahrern. Selbst die Cracks der Tour de France treten sich die Beine schwer. Morella, Xativa und Boicarent, wie die vielen Dörfer und kleinen Städte heißen, bieten schöne Steigungen an. Sie sind wunderbare Attraktionen für den Touristen. Ein neuer Hotspot des Radsports ist auch für Nicht-Profis gegeben. Die Stadt des Radsports, ideal für Rennradfahrer, Mountainbiker und normale Radler, die sich auch mal gerne vom E-Bike tragen lassen. Fast 30 Kilometer ist die geführte Tour durch den Baix Maestrat, vorbei an endlos wirkenden Olivenhainen.
Manche Olivenernte wird auch exportiert, nach Italien etwa, taucht verarbeitet in italienischen Olivenölflaschen wieder auf. Das schmeckt nicht jedem Spanier, schließlich ist das stolze Land der größte Olivenproduzent der Welt. Spanische Oliven!
Für die Radtouristen ist das eine Randnotiz, denn hier im Baix Maestrat gedeihen die ältesten Olivenbäume des Landes. Ein besonders knorriges Exemplar ist wegen des langen Wuchses bereits gespalten, wird mit zusätzlichen Stützen aufrecht gehalten. Ester Llorach vom Tourismusbüro des Landeskreises schätzt den Baum auf über 2.000 Jahre. Der Wind weht durch die Zweige des Olivenhains, nichts anderes ist zu hören als das Rauschen des Windes und der feinen Olivenblätter. 5.000 Bäume haben die Naturschützer des Maestrats gezählt.
ESSEN WIE EIN KÖNIG
Wer eine Rast mit kulinarischem Highlight erleben möchte, radelt weiter bis zu einem Kloster aus dem 16. Jahrhundert, dem Real Santuario Virgen Fuente de la Salud in Traiguera. Hier, in der Casa dels Capellans, lässt sich sehr gut speisen: getrüffelte Entenbrust, Rebhuhn, Kabeljau mit Trüffel, um nur einige Beispiele spanischer Köstlichkeiten zu nennen.
turisme.traiguera.es
Vom heiligen Ort sind es ungefähr 30 Minuten Fahrtzeit nach Tírig, mit dem Auto, anderthalb Stunden mit dem Fahrrad. Hier ist das regionale Mekka der Höhlenmalerei. Die Fundstätte gehört zu den 20 bekannten Stätten prähistorischer Felsbilder des etwa 20 km langen Barranco de la Valltorta. Das Dorf Tiríg liegt in der Provinz Castelló, landeinwärts ungefähr auf der Höhe von Peñíscola, das am Mittelmeer liegt. Francesc Bellmunt führt querfeldein zu einem Felsmassiv mit den faszinierenden Felsmalereien: Pferde, Ziegen, Schweine, Menschen auf der Jagd oder beim Tanz sind mit bunter Farbe in den Fels geritzt. Francesc ist Historiker und für das Museum de la Valltorta als Spezialist in Sachen urzeitliche Malerei unterwegs. Dreimal am Tag finden Führungen statt, die im Museum gebucht werden können. Im Ersten Weltkrieg hatte Albert Roda die Felsmalereien entdeckt. In dem Museum gibt es eine Bibliothek, Arbeitsstätten und Labore für Wissenschaftler. 1998 wurden die Höhlenbilder zum Weltkulturerbe erklärt. Das Tal ist neben Kantabrien die zweite bedeutende spanische Region mit prähistorischer Kunst aus der Jungsteinzeit.
»FÜR TOURISTEN WIRD EIN TYPISCH WESTGOTISCHES BANKETT ANGERICHTET.«
ÜBER DAS LEBEN DER WESTGOTEN
Fast zwei Stunden Autofahrt sind es bis Ribaroja, jenes kleine Städtchen, das westlich von Valencia von dem heftigen Niederschlag im Herbst 2024 betroffen war. Mit Blick zurück in frühere Zeiten kann der Besucher die westgotische Kultur aufleben lassen. Westgoten hatten hier im 7. Jahrhundert für 200 Jahre ihre Herrschaft begründet. Sie zählten zunächst zu den Hilfstruppen der Römer, bis sie sich emanzipierten. Diese Kultur wollen junge Archäologen mit ihren Professoren wieder aufleben lassen. Speziell für Touristen wird ein Schauspiel geboten, ein Bankett angerichtet, um den Besuchern anschaulich das Leben der Westgoten zu vermitteln. Der Tisch ist reichlich mit den Früchten der Region gedeckt: Kichererbsen, Knoblauch, Artischocken, Oliven und natürlich Wein. Je üppiger das Mahl, umso besser, denn es war so etwas wie eine Machtdemonstration gegenüber den Geladenen. Herzog Theodormir und seine Gattin Theodora sind eigentlich junge Studenten der Archäologie, Juan und Angela, die in die Kleider der Adeligen geschlüpft sind, siehe Seite 31. Sie empfangen die Gäste auf den Grundmauern eines ehemaligen westgotischen Palastes, dem Pla de Nadal, wenige Kilometer entfernt von der Stadt Valencia de la Vella, einer fünf Hektar großen Ausgrabungsstätte aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Der Palast wurde zwischen 650 und 700 nach Christus gebaut. Die Wissenschaftler stehen am Anfang ihrer Forschungen, überhaupt ist die Geschichte der Westgoten in Spanien nicht sehr bekannt. Erst fünf Prozent der Siedlung seien bisher ausgegraben.
ribarojadeturiaturismo.com
turismo-prerromanico.com
ERLESENE FRÜCHTE
Weiter geht es nach Süden, nicht ganz bis Gandía, sondern bis Carcaixent, genauer bis zur Huerto Ribera. Hier lebt und arbeitet Teresa Bover in einer stattlichen alten Villa aus dem 19. Jahrhundert mitten in einem Orangenhain. Im Orangenland der Generalitat Valencia lernt der Besucher die Produktion von Orangen und deren Produkten, die Auslese der Früchte und die anschließende Weiterverarbeitung der Produkte zu Marmelade und ähnlich köstlichen Dingen wie Likör und natürlich das wohlschmeckende und nicht zu unterschätzende Agua de Valencia. Teresa führt die Mischung dieses Cocktails vor und verrät auch das Rezept des köstlichen Getränks.
Agua de Valencia
1 cl Gin, 1 cl Vodka,
5 cl Orangensaft,
3 cl Cava,
ein wenig Zucker
und Eiswürfel
artifex 02/2025: Spanien - Seite 49