artifex 03/2024: Wein
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artifex 03_24 - HAT DEN DREH RAUS_Korkenzieher
HAT DEN DREH RAUS
(Foto: © iStock.com/filo)
Weinbar Vinorte, Valencia, September 2023. Respektvoll fährt der junge Weinexperte Caesar den Abadía Retuerta, den Cuvée El Campanario aus Castilla Y León aus dem Jahr 1997 auf einem Wägelchen an den Tisch der Gäste. Der wichtigste Moment beim Öffnen der Flasche kommt jetzt dem Korkenzieher zu. Behutsam und konzentriert setzt Caesar das kleine Werkzeug an zwei Seiten des Korkens an. Sachte, wie von Zauberhand, schraubt der Korkenzieher den Korken aus dem Flaschenhals hervor. Mit einem wohlig klingenden Plopp ist der Korken entfernt. Zum ersten Mal nach 26 Jahren atmet der Wein Sauerstoff und kann seine Aromen und Geschmacksstoffe entfalten.
In vielen Ländern der Erde ist das kleine Metallding bei Weinfreunden im Einsatz. In China heißt er Kai ping qu, auf Russisch Shtopor, im Spanischen ist er als Sacacorchos unterwegs, die Italiener bestellen zu einer Flasche Wein den Cavatappi und die Niederländer schrauben mit dem Kurkentrekker den Korken zu Tage. Erfunden hat es der englische Metallarbeiter Samuel Henshall. 1795 meldet er für den »Winged Corkscrew« ein Patent an. Seine geniale Idee war es, einen Flügel oder Hebel an das gedrehte Eisen anzubringen. So konnte mühelos und ohne Kraftaufwand der Korken entfernt werden. Zumindest in den meisten Fällen. Eine Anekdote erzählt eine andere Geschichte von Max und seinem Korkenzieher Alfred.
Der Kellner arbeitete in einer kleinen gemütlichen Weinstube. Er war dafür bekannt, in Windeseile eine Weinflasche öffnen zu können. Ihm zur Seite stand Alfred. Ein alter, leicht rostiger Korkenzieher. Max schwor auf Alfred und dessen magische Kräfte. An einem Abend wollte Max einmal mehr das Talent von Alfred vorführen. Doch dieses Mal weigerte sich der Korken hartnäckig. Alfred konnte sich drehen, wie er wollte. Der Korken saß fest. Etwas nervös rief Max einen Kollegen herbei. Der zückte seinen Lieblings-Korkenzieher, entfernte den Korken schnell und leicht und erklärte gelassen: »In der Gastronomie ist es wie im ganzen Leben, man braucht immer einen Plan B.« Der Korkenzieher Alfred wurde damit jedoch zur Legende und bekam an der Wand der Weinstube einen Ehrenplatz.
WIE ALLES ANFING
Die Entwicklung des Korkenziehers hängt eng mit der Geschichte des Weins zusammen. Die Verwendung von Kork als Verschluss reicht bis in die Antike zurück. Die alten Römer und Griechen verschlossen ihre Amphoren mit Korken. So bleibt der Wein frisch. In jenen Tagen war es jedoch eher üblich, den Korken mit den Händen oder einem Messer zu entfernen. Ein erster Korkenzieher soll ein Reinigungsinstrument für Schusswaffen gewesen sein. Daraus entstand der sogenannte »Wendel«, ein schraubenförmiges Gebilde zum Herausdrehen des Korkens. Nach der Erfindung von Samuel Henshall rappelte es im 18. und 19. Jahrhundert nur so von Patenten und Innovationen, die es Weinliebhabern möglich machten, das Öffnen einer Flasche zu erleichtern. Eine der wichtigsten Erfindungen kommt dem Hebelkorkenzieher aus dem 19. Jahrhundert zu. Im 20. Jahrhundert wurde der Korkenzieher elektrisch.
Auch bei den Formen zeigt sich der Korkenzieher als wahrer Tausendsassa. Bis heute eine der gängigsten Formen ist der T-Korkenzieher. Mit einem waagerechten Griff und besagtem Wendel braucht es jedoch einiges an Kraft, um den Korken aus der Falsche zu ziehen. Bei Experten besonders beliebt ist dagegen das Kellnermesser. Das Werkzeug verfügt über ein kleines Messer zum Entfernen der Kapsel sowie einen zweifachen Hebel. Der Liebling in fast jedem Haushalt ist der Flügelkorkenzieher. Einfach auf den Flaschenhals aufgesetzt, rutscht er nicht auf die Seite und der Kraftaufwand hält sich ebenso in Grenzen. Eine deutsche Erfindung der 60er Jahre ist der Glockenkorkenzieher. Zunächst wird der Griff mit dem Wendel in den Korken gedreht. Sitzt dieser fest, beginnt ein Umkehrmechanismus, der dafür sorgt, dass der Korken nach oben kommt.
Immer mehr rückte der Korkenzieher in den 80ern in den Fokus der Designer. Elegant, modern und ein wenig verspielt hat sich ein italienisches Designerlabel vor allem mit vielen verschiedenen Modellen etabliert. Besonders beliebt sind die figürlichen Korkenzieher. Sie präsentieren sich als Harlekin oder Anna G, eine Lady ganz in Silber. Doch so vielseitig das Werkzeug, so unterschiedlich sind die Meinungen über die Zukunft des Weinkorkens und damit des Korkenziehers. Seit mehr als fünfzig Jahren wird diskutiert, ob der Korken noch zeitgemäß ist oder ein Schraubverschluss nicht besser wäre. Dabei geht es nicht nur um die knapper werdende Ressource Kork, sondern immer wieder um den Geschmack.
Ob Weinhersteller oder Konsument. Ein korkender Wein ist ärgerlich. Weinforscher fanden jedoch in den 80er Jahren heraus, dass am Korkgeschmack nicht immer der Korken selbst Schuld haben muss. Es sind die Substanzen TCA (Trichloranisol) und TCB (Tribromanisol), die an dem unschönen Geschmack schuld sind. Zum einen entsteht es durch das Bleichen der Naturkorken mit chlorhaltigen Mitteln. Aber auch Weine mit einem Schraubverschluss können durchaus korkig werden. Denn die Forscher fanden auch heraus, dass sich das TCA durchaus auch in einem Weinkeller bilden kann. Nämlich dann, wenn Fässer mit chlorhaltigen Holzschutzmitteln behandelt worden sind oder wenn sich in der Nähe der Fässer unter anderem Lacke und Lösungsmittel befinden.
Die Frage nach der Zukunft des Korkenziehers bleibt also offen. Doch immer mehr Winzer entscheiden sich, beim Korken zu bleiben. Damit hat der Korkenzieher eine gute Chance, auch in Zukunft ein »Must have« in der Welt des Weines zu bleiben und uns viele faszinierende Momente in der Welt des Genusses zu schenken.
artifex 03/2024: Wein - Seite 18