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Algen_Alleskönner aus der Bretagne

DIE KRAFT der Algen

Naturführerin Caroline vom »Ecomusée Plouguerneau « bei einer Algen-Wanderung.

Facettenreich: Umgeben vom Atlantik und der wilden Irischen See verzaubert die Bretagne mit in den Himmel ragenden Leuchttürmen und dem größten europäischen Algenfeld

Wo könnte nur …?« Barfuß steht Claire in der Küche. So, als wäre sie gerade vom Algenfischen zurückgekehrt. Nachdenklich legt sie den Finger an den Mund, murmelt etwas von »Alors où pourrait ...?«. Dann lacht sie, hat eine Idee und flitzt in eine Ecke. Freunde haben der Köchin den Raum zur Verfügung gestellt, da die frühere Showküche während Corona schließen musste. Flugs sammelt sie die entdeckten Schälchen, Teller, Messer für den anstehenden Algenkochkurs ein. Lauch und Salat hat die 57-Jährige schon geschmackvoll auf einem Tisch angerichtet. Daneben schimmern in bunten Schalen seltsam aussehende Pflanzen.

Foto: © photohampster/iStock.comFoto: © photohampster/iStock.com

Es sind Algen. Frisch von Claire Maerten am Morgen bei Ebbe geerntet, wirken sie mal fein filigran und fasrig, mal fest und im Aussehen einem platt gebügelten Fahrradschlauch ähnlich. Vor zwanzig Jahren entdeckte die Taucherin ihre Leidenschaft für die Meerespflanzen. Die Bretagne verfügt über den größten Schatz an Braun-, Rot- oder Grünalgen. 800 Sorten gibt es und alle sind essbar. Doch nur zehn Arten sind auch zum Verzehr zugelassen. »Dank ihrer hohen Konzentration an Spurenelementen, Jod, Vitaminen und Mineralsalzen haben sich Algen längst als Superfood etabliert«, erzählt Madame den Kursteilnehmern. Heute gibt es Frühlingsrollen à la Bretagne und eine sogenannte Papillote. Eine Garmethode, in dem in diesem Fall die Algen und verschiedene Gemüsesorten in Papier eingewickelt werden. Als Dessert gibt es einen Mandelkuchen. Es schmeckt nach Meer, vielleicht ein wenig nussig, aber ja, auch etwas gewöhnungsbedürftig.

»ALGEN SIND ALLESKÖNNER. SIE HABEN SIEBEN MAL MEHR EISEN ALS SPINAT.« PAULINE ABÖRNOT

Dank ihrer Vielseitigkeit sind Algen inzwischen überall zu finden. Frisch aus dem Meer gepflückt sind sie als Zutat in einem Salat oder als Brotaufstrich sehr beliebt. Foto: © GREGORY MIGNARDDank ihrer Vielseitigkeit sind Algen inzwischen überall zu finden. Frisch aus dem Meer gepflückt sind sie als Zutat in einem Salat oder als Brotaufstrich sehr beliebt. Foto: © GREGORY MIGNARD

Das Haupterntegebiet befindet sich im Meeresschutzgebiet des Mer d’Iroise-Sees rund um die rosa Granitküste der Bretagne. Während das Sonnenlicht die Granitfelsen in ein warmes Kupferrosa taucht, lädt Pauline Abörnot Wanderer zur Algen-Verkostung bei Ebbe ein. »Dank des Golfstroms und einer durchschnittlichen Wassertemperatur von 18 Grad wachsen die Algen in dieser Region besonders gut«, erklärt die 34-Jährige vom Algenmuseum in Plouguerneau. Jährlich werden rund 10.000 Tonnen Algen zu Fuß oder mit dem Boot geerntet. Die Naturführerin betont: »Algen sind Alleskönner. Sie haben siebenmal mehr Eisen als Spinat.« Aber nicht nur in der Ernährung haben sie eine große Zukunft vor sich. »Wie schon in der Kosmetik vielfach eingesetzt, werden sie irgendwann als Ersatz für Plastik, zum Beispiel im Spielzeug, eine wichtige Rolle spielen.«

Algen werden bei Ebbe von Hand an der Küste geerntet. Vorzugweise, wenn sie noch im Meerwasser liegen. Die Ernte von Blatttang erfolgt per Boot, den sogenannten »Scoubidous«. Die Boote sind mit Förderschnecken ausgestattet. Nach der Ernte werden die Algen gewaschen, um Rückstände wie Sand oder Schalentiere zu entfernen. Am Ende des Winters beginnt die Ernte von Kombu und Wakame. Im Frühling sind Nori, Meersalat, Lappentang und Meeresspaghetti an der Reihe. Im Sommer wird nicht geerntet.

Dank ihrer Vielseitigkeit sind Algen inzwischen überall zu finden. Frisch aus dem Meer gepflückt sind sie als Zutat in einem Salat oder als Brotaufstrich sehr beliebt. Foto: © TOURISME BRETAGNEDank ihrer Vielseitigkeit sind Algen inzwischen überall zu finden. Frisch aus dem Meer gepflückt sind sie als Zutat in einem Salat oder als Brotaufstrich sehr beliebt. Foto: © TOURISME BRETAGNE

Algen sind inzwischen selbstverständlich in der Küche. Als Gemüse gekocht, als Tatar und Confits auf Toast, als Flocken über Gerichte gestreut oder in handwerklich hergestellten Konserven für ein Picknick vorbereitet. Als Pulver können Algen auch Salz ersetzen. Als Geliermittel wie Agar-Agar ersetzen sie Gelatine. Und als Getränk? Tatsächlich sind Algen nicht nur in vielen Nahrungsmitteln enthalten. Inzwischen haben Algen auch Einzug in Tees und sogar Bier gefunden. Auch in der Kosmetik haben die Meerespflanzen ihren Platz gefunden. Anti-Aging, Detox und belebende Wirkungen sind die Argumente, die den Erfolg zahlreicher Meerespflege- Marken ausmachen.

SCHLUMMERN IN ALGEN
Auch ganz andere Lebewesen als der Mensch profitieren von der Vielseitigkeit der Alge. Die Kegelrobben beispielsweise. Bei einem Ausflug mit Christel und Lucky in ihrem Zodiac kommt man diesen liebenswerten, wenngleich sehr scheuen Tieren zumindest auf Blickkontakt sehr nahe. Die Tiere mit den schwarzen Kulleraugen nutzen die Algen als Schlafstätte. Einem Wasserstöpsel gleich, halten sie sich unter Wasser an den Algen fest. So können sie dort schlummern, während die Tiere zum Luftholen von den Wellen sanft an die Wasseroberfläche geschwappt werden. Nur bei ruhiger See starten Christel Péron und ihr Ehemann Lucky mit Gästen ab Le Conquet ihre Tour durch den ersten Meeres-Naturpark Frankreichs. Das Besondere der Region mit ihrer Artenvielfalt und die Schutzmaßnahmen des fragilen Ökosystems liegen den beiden sehr am Herzen.
bretagne-reisen.de

Algen Know-how
Algen besitzen keine Wurzeln, sondern ein Haftorgan, um sich an den Felsen festzuhalten. Ihre wohltuende Wirkung beziehen sie direkt aus dem Meerwasser. Dadurch sind sie ein Konzentrat aus Oligoelementen, Jod, Vitaminen und Mineralsalzen. Seit dem 17. Jahrhundert in der Landwirtschaft verwendet, sind Algen heute eine Zutat, die ihren festen Platz über die bretonische Küche hinaus haben. Von den fast achthundert in der Bretagne vorkommenden Algenarten sind zwar alle essbar, doch nur zehn Arten sind auch zum Verzehr zugelassen.

Braunalgen 
Riementang:
Wird wegen seines langen, flachen Aussehens auch Meeresspaghetti genannt.
Kombu: Blatttang mit fleischiger Konsistenz und rauchigem Geschmack.
Wakame: Seinem Aussehen verdankt er seinen Spitznamen »Seefarn«.

Rotalgen
Lappentang:
Feine, durchscheinende Alge mit aromatischem Geschmack.
Nori: Wichtigste Zutat für Sushi mit leicht rauchigem Geschmack.

Grünalgen
Meersalat:
Mit seinem sauerampferähnlichen Geschmack wird die Alge gerne roh im Salat oder in Smoothies verwendet.

Blaualgen
Spirulina:
Diese smaragdblauen Mikroalgen haben unglaubliche Eigenschaften, um das Immunsystem zu stärken und Mangelerscheinungen auszugleichen. Sie enthalten dreimal so viel Eiweiß wie Fleisch.

Anreise
Flug mit Air France von verschiedenen deutschen Flughäfen nach Rennes. Anreise mit der Bahn via Brüssel bis zum Bahnhof Rennes.

Kochkurse und Algenwanderungen mit Claire Maerten. Buchung über Ihre Website atelierterramaris.com Seit diesem Jahr stellt Claire Maerten außerdem Heilprodukte auf Algenbasis her, die sie mittwochs auf dem Markt in Tréguier verkauft.

Algen-Strandfischen in Plouguerneau
ecomusee-plouguerneau.fr

Exkursion im Zodiac
im Meeres-Naturpark Iroise 
Abfahrt ab Le Conquet
Preis: 70 Euro
archipel-excursions.com


artifex 04/2024: Erlebniswelt Wasser - Seite 52