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Alaska_Gletscherwelten

Die Eiszeit GLITZERT IN BLAUTÖNEN

Michael Soltys beim Fotoshooting am Meade-Gletscher.

Eine Erkundung von Alaskas Gletschern – mit dem Helikopter, dem Flugzeug und zu Fuß.

TEXT
MICHAEL SOLTYS

Sanft hebt der Hubschrauber vom kleinen Flugplatz in Skagway ab, Pilotin Anne fliegt ein Stück über den schmalen Fjord, unter sich die Kreuzfahrtschiffe, mit denen ihre fünf Fluggäste in die ehemalige Goldgräberstadt im Süden Alaskas, im »Pfannenstiel«, an der Grenze zu Kanada gekommen sind. Als die nötige Höhe erreicht ist, schwenkt sie nach Osten zwischen Berggipfel. Nach wenigen Minuten sind der Gletschersee und die Gletscherzunge des Meade-Gletschers erreicht. Der Hubschrauber verliert an Höhe, der spektakuläre Flug über das Jahrtausende alte Eis beginnt.

Die Gletscherzunge des ­Meade-Gletschers befindet sich im Alaska Panhandle, einem ­schmalen Küstenstreifen am Pazifik an der Grenze zur kanadischen Provinz British Columbia. Foto: © Michael SoltysDie Gletscherzunge des ­Meade-Gletschers befindet sich im Alaska Panhandle, einem ­schmalen Küstenstreifen am Pazifik an der Grenze zur kanadischen Provinz British Columbia. Foto: © Michael Soltys

Welche gewaltigen Eismassen sich den Weg vom Juneau-Eisfeld durch die Berge gegraben haben, ist von hier oben nur zu erahnen. Der Druck hat aus dem Schnee eine riesige Bahn aus parallelen Eislinien geschaffen, mit tiefen Schrunden und Spalten, durchsetzt mit Sedimenten und Gestein. Erst als der Hubschrauber auf dem Eis aufsetzt, erschließt sich das ganze Ausmaß der Fläche aus gepresstem Schnee. Anne gibt Sicherheitsanweisungen, bis wohin und über welche Wege es ungefährlich ist.

Wie alle Gletscher Alaskas ist der Meade-Gletscher auf dem Rückzug. An den abgeschliffenen Hängen über der Eisfläche ist zu erkennen, wie stark er in den letzten Jahrzehnten abgeschmolzen ist. Gewaltig sind die Eismassen immer noch. Aus rund 150 Meter Höhe stürzen die Gletscher-Kälber, in den See, erfahren die Fluggäste. Ein namenloser Nebengletscher vereinigt sich ein Stück weiter oben mit dem Hauptstrom. Sehnsüchtig warten die Passagiere auf ein wenig Sonne. Sie wissen: Dann glitzert das Eis in blauen und türkisen Tönen.

Die Gletscher in den Chugach-Bergen, im Prince-William-Sound und in den Tordrillo-Bergen am Cook-Inlet, das sind die Naturwunder, die sich mit dem Wasserflugzeug von Anchorage aus erkunden lassen. Nach einem Flug über Sümpfe werden die Gletscher oberhalb des Beluga-Sees erreicht. Atemberaubend nahe wagt sich der Pilot in dem einmotorigen Viersitzer an die Eisformationen heran. In den flachen Vertiefungen der höher gelegenen Eisfelder bilden sich Lichtreflexionen, die an Spinnennetze er­ innern, an den Rändern sind abgespaltene ­ Blöcke zu erkennen.

SICHTBAR ZURÜCKGEZOGEN
Parallel zur Eisfläche steuert der Pilot seine Maschine von unten auf eine Wolkendecke zu, die wie mit dem Lineal gezogen scheint und die Gipfel verdeckt. Auf dem höchsten Punkt fliegt er eine Kurve und folgt der Spur des benachbarten Gletschers bergab.

Die Gletscherzunge des Matanuska. Selbst an trüben Tagen glitzern die Eismassen in ­zartem Blau. Foto: © Michael SoltysDie Gletscherzunge des Matanuska. Selbst an trüben Tagen glitzern die Eismassen in ­zartem Blau. Foto: © Michael Soltys

Die Sonne bricht durch und jetzt glitzern die wellenförmigen Bergspitzen in schillernden Blautönen, der einzigen Farbe, die nicht vom Eis absorbiert wird. Wieder hält der Pilot den Abstand zur Eis­ fläche konstant, diesmal bergab. In der Ferne zeigt sich der Beluga-Gletschersee. Doch längst kalben die Gletscher nicht mehr direkt in den See, die Gletscherzunge hat sich kilometerweit zurückgezogen, ein unverkennbares Zeichen der anhaltenden Schmelze.

Nach etwa zwei Stunden Autofahrt auf dem Glenn-Highway Richtung Nordosten drängt sich der Matanuska-Gletscher in den Blick. Der Star unter den rund 100.000 Gletschern Alaskas lässt sich zu Fuß erkunden. Aus der Entfernung scheint sich der Eisriese, der beinahe 600 Quadratkilometer Fläche bedeckt, in flachem Bogen aus den Bergen direkt in die Wälder zu ergießen. Erst aus der Nähe erschließt sich das ganze Ausmaß der schmutzig-grauen Endmoräne. Die Aufschüttungen aus Schlamm und Gebirgsschutt sind unter dem tonnenschweren Druck des Eises entstanden. Über Jahrzehnte und Jahrhunderte hat der Gletscher die Erdmassen unter sich begraben, mitgeschleift oder vor sich hergeschoben.

Rund 800 Meter entfernt ragt die kilometerbreite Gletscherzunge wie ein Riegel empor und scheint den Weg in die Chugach-Berge zu versperren. Fels und Erdreich, das der Gletscher auf seinem 46 Kilometer langen Weg durch die Berge aufgenommen hat, bilden feine schwarze Linien in der Masse aus gepresstem Schnee.

»INNERHALB EINES JAHRZEHNTS HAT SICH DIE GLETSCHERZUNGE DES MATANUSKA-GLETSCHERS UM RUND EINEN KILOMETER ZURÜCKGEZOGEN.«

Einzeln oder in kleinen Gruppen folgen Wanderer den professionellen Führern über lose Bretter und wacklige Absperrungen zum Gletschersee oder weiter in die Eisspalten hinein. Pylonen zeigen ihnen an, wo der Weg sicher ist. Manche schleppen eine schwere Kameraausrüstung und hoffen, damit das Blau des ­ Eises einzufangen. Selbst an diesem trüben Tag, an dem die Sonne nur selten durch Wolken und Nebel dringt, bildet sich in den Spitzen der Gletscherzacken ein ganz zartes Babyblau.

Einzeln oder in kleinen Gruppen folgen Wanderer den professionellen Führern über lose Bretter und wacklige Absperrungen zum Gletschersee oder weiter in die Eisspalten hinein. Foto: © Michael SoltysEinzeln oder in kleinen Gruppen folgen Wanderer den professionellen Führern über lose Bretter und wacklige Absperrungen zum Gletschersee oder weiter in die Eisspalten hinein. Foto: © Michael Soltys

Doch so riesig und unberührt der ­Matanuska-Gletscher für europäische Augen sein mag: Er ist ebenfalls auf dem Rückzug. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich die Gletscherzunge zwischen 1990 und 2000 um rund einen Kilometer zurückgezogen, haben Geologen festgestellt. In der letzten Eiszeit vor etwa 18.000 Jahren reichte der Matanuska noch bis in die Gegend des heutigen Palmer, etwa 45 Kilometer entfernt.

Die Gletscher gehören zu den größten Sehenswürdigkeiten der wilden Natur Alaskas. In majestätischer Größe präsentieren sie sich bei Rundflügen. Der Star unter ihnen ist der Matanuska-Gletscher, zwei Autostunden von Anchorage entfernt.

Infos
Die beste Aussicht auf den Matanuska-Glacier bietet sich vom Glacier State Recreation Site aus, etwa bei Meile 101 auf dem Glenn Highway. Rund eine Meile später kommt der Abzweig zum Glacier Park Resort, von wo eine Tour über die Endmoräne und den Gletscher selbst ­ möglich ist. Am Wasserflughafen von Anchorage ist »Rust’s Flying ­ Service« einer der größten Anbieter von Rundflügen. Ein halbstündiger Flug kostet rund 175 Dollar, dreieinhalb ­ Stunden Rundflug über die Gletscher oder zum Gipfel des Mount McKinley sind für 550 Dollar erhältlich.
flyrusts.com

In Skagway bietet Temsco Flüge mit dem Helikopter an. Sie kosten je nach Ziel und Dauer zwischen 380 und 540 ­ Dollar.
temscoair.com


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